In zwei neuen Urteilen hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass Erwerber von Vertragsarztpraxen nur dann Abschreibungen (AfA) auf einen Praxiswert und das miterworbene Inventar vornehmen dürfen, wenn Erwerbsgegenstand die gesamte Praxis und nicht nur eine Vertragsarztzulassung ist.
1. Entscheidung: Erwerb der Praxis als „Chancenpaket“
Im ersten Fall hatte eine fachärztliche Gemeinschaftspraxis die Vertragsarztpraxis eines Kassenarztes erworben. Der Kaufpreis für die Praxis orientierte sich an den durchschnittlichen Einnahmen aus der Untersuchung und Behandlung der gesetzlich und privat versicherten Patienten samt eines Zuschlags. Eine Besonderheit der Einzelpraxis bestand darin, dass die Patienten die Praxis im Wesentlichen aufgrund von Überweisungen anderer Ärzte aufsuchten und diese sogenannten Zuweiserbindungen ein entscheidender wertbildender Faktor waren. Die Gemeinschaftspraxis übernahm einige Mitarbeiter der Einzelpraxis und das Patientenarchiv, weil sie davon ausging, dass frühere Patienten der Einzelpraxis weiterhin die Gemeinschaftspraxis aufsuchen würden. Letztere wollte ihre Tätigkeit jedoch nicht in den Räumen des bisherigen Praxisinhabers ausüben. Der bisherige Inhaber übernahm im Kaufvertrag die Verpflichtung, im Nachbesetzungsverfahren daran mitzuwirken, dass einer Gesellschafterin der Gemeinschaftspraxis die Vertragsarztzulassung erteilt wird.
Entscheidung: Der Vorteil aus der Zulassung als Vertragsarzt ist untrennbar im Praxiswert als abschreibbares immaterielles Wirtschaftsgut enthalten, wenn eine Vertragsarztpraxis samt der zugehörigen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter der Praxis, insbesondere des Praxiswerts, als „Chancenpaket“ erworben wird. Dies gilt nach BFH-Meinung auch, wenn eine Gemeinschaftspraxis eine Einzelpraxis unter der Bedingung erwirbt, dass die Vertragsarztzulassung des Einzelpraxisinhabers im Nachbesetzungsverfahren einem Gesellschafter der Gemeinschaftspraxis erteilt wird. Maßgebliches Indiz für einen beabsichtigten Erwerb der Praxis als „Chancenpaket“ ist, dass Veräußerer und Erwerber einen Kaufpreis in Höhe des Verkehrswerts der Praxis oder sogar einen darüberliegenden Wert vereinbart hatten. Der Umstand, dass die Gemeinschaftspraxis nicht beabsichtigt hatte, die ärztliche Tätigkeit in den bisherigen Räumen des Einzelpraxisinhabers fortzusetzen, war für den BFH unerheblich. Somit bestand eine AfA-Berechtigung auf den Praxiswert und die übrigen erworbenen Wirtschaftsgüter der Praxis.
2. Entscheidung: Isolierter Erwerb der Vertragsarztzulassung
Im zweiten Fall hatte der Inhaber einer Einzelpraxis mit dem Neugesellschafter einer Gemeinschaftspraxis (Erwerber) einen sogenannten Praxisübernahmevertrag geschlossen, der unter der Bedingung stand, dass die Vertragsarztzulassung erfolgreich auf den Erwerber übergeleitet werden kann. Der Verkäufer verpflichtete sich auch in diesem Fall, im Nachbesetzungsverfahren daran mitzuwirken, dass die Vertragsarztzulassung auf den Erwerber übergeleitet wird. Er verlegte seine Vertragsarztpraxis zudem für kurze Zeit an den Ort der Gemeinschaftspraxis, wurde dort aber tatsächlich nicht tätig.
Entscheidung: Der BFH lehnte eine AfA-Berechtigung des Erwerbers in vollem Umfang ab. Nach Gerichtsmeinung hatte der Neugesellschafter nur den wirtschaftlichen Vorteil aus der Vertragsarztzulassung gekauft, da er weder am Patientenstamm der früheren Einzelpraxis noch an anderen wertbildenden Faktoren interessiert gewesen war. Dieses Wirtschaftsgut ist nicht abschreibbar, weil es keinem Wertverzehr unterliegt.
BFH, Urt. v. 21.02.2017 – VIII R 7/14; Urt. v. 21.02.2017 – VIII R 56/14