Fahrten zum Arbeitgeberstammsitz

Bekommen Berufskraftfahrer eine Chance auf Auswärtstätigkeit?

Eine Ärztin schaut auf ein Tablet
30 Aug. 2016

Eine "regelmäßige Arbeitsstätte" gibt es seit 2014 im Steuerrecht nicht mehr. Interessant ist ein jüngeres Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg (FG) zu diesem Begriff trotzdem, insbesondere für Berufskraftfahrer. Warum? Dieser Urteilsfall eröffnet ihnen eventuell die Möglichkeit, für die Vergangenheit höhere Werbungskosten geltend zu machen, sofern sie noch keinen bestandskräftigen Bescheid haben.

Vor dem FG stritt sich ein Berufskraftfahrer mit dem Finanzamt über seine Aufwendungen für die Fahrten zum Stammsitz seiner Arbeitgeberin und zurück. Der Kraftfahrer wollte die Fahrten für die Jahre 2009 und 2010 (35 bzw. 40 Fahrten à 491 km einfache Entfernung) im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung doppelt - also mit Hin- und Rückweg - als Werbungskosten anerkannt wissen. Er wollte den Stammsitz nämlich nicht als regelmäßige Arbeitssätte qualifiziert wissen, sondern seine Fahrten dorthin als Auswärtstätigkeit bewerten.

Außerdem machte er Verpflegungsmehraufwand für seine Abwesenheit vom Wohnort geltend: in der Regel 24 Stunden am Tag. Das Finanzamt erkannte allerdings nur eine doppelte Haushaltsführung an und setzte für die 35 bzw. 40 Heimfahrten lediglich die Entfernungspauschale von 0,30 € je Entfernungskilometer an - also nur für die einfache Strecke.

Das Urteil der Finanzrichter fiel zwar zu Ungunsten des Kraftfahrers aus, das Interessante ist jedoch, dass der Bundesfinanzhof (BFH) zuerst die Nichtzulassungsbeschwerde angenommen und anschließend die Revision akzeptiert hat. Der BFH möchte also offensichtlich eine eigene Bewertung anstellen.

Im Streitfall hatte der Kraftfahrer nämlich kaum am Stammsitz gearbeitet, sondern häufig auswärts. Er war in der Regel nur zum Abholen und Hinbringen der Fahrzeuge morgens und abends dort. Dennoch hat das FG keine Auswärtstätigkeit, sondern eine regelmäßige Arbeitsstätte unterstellt. Die Offenheit des Urteils lässt jedenfalls den Schluss zu, dass Kraftfahrer mit ähnlichen Verhältnissen für die Jahre bis inklusive 2013 möglicherweise eine Auswärtstätigkeit geltend machen können.

Seit 2014 ist diese Überlegung allerdings hinfällig. Denn seither würde für den Streitfall gelten, dass

  • der Kraftfahrer entweder laut Arbeitsvertrag eine "erste Tätigkeitsstätte" am Stammsitz des Arbeitgebers hat - mit denselben steuerlichen Folgen wie beim früheren Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte - oder dass

  • der Stammsitz ohne arbeitsvertragliche Regelung als Sammelpunkt gilt - welche nach dem seit 2014 geltenden Reisekostenrecht wie eine erste Tätigkeitsstätte zu behandeln ist.

In beiden Fällen könnte der Fahrer heute also nur noch die Entfernungspauschale für die einfache Strecke als Aufwendungen geltend machen.

Hinweis: Angestellte ohne bestandskräftigen Bescheid können in der Regel noch für Jahre bis mindestens 2012 rückwirkend eine Berücksichtigung der Werbungskosten beantragen. Wenn Sie sich in dem beschriebenen Fall wiedererkennen, sprechen Sie uns bitte zwecks Überprüfung an.

Das könnte Sie interessieren

09Nov.2016

Lkw-Fahrer: Arbeitstägliche Fahrt zum Stammsitz nur mit der Entfernungspauschale abziehbar

Jetzt ist es amtlich: Seit der Reform des steuerlichen Reisekostenrechts zum 01.01.2014 ist das erste Finanzgerichtsurteil über die Fahrtkosten von auswärts tätigen Lkw-Fahrern ...

Mehr erfahren
19Dez.2016

Einsatzwechseltätigkeit: Wann sich die Fahrtkosten nur halb absetzen lassen

Als aufmerksamer Leser unserer Mandanten-Informationen wissen Sie sicher, dass Sie bei einer Auswärtstätigkeit seit 2014 nicht mehr immer die kompletten Fahrtkosten als ...

Mehr erfahren
30Juni2015

Auswärtstätigkeit: Doppelte Fahrtkosten bei Probearbeitsverhältnis, nicht aber bei Probezeit

Kennen Sie die steuerlichen Vorteile einer Auswärtstätigkeit gegenüber der Arbeit an der „regelmäßigen Arbeitsstätte“ (die durch die Reisekostenreform seit 2014 ...

Mehr erfahren
30Aug.2015

Vermietungseinkünfte: Zwei Vermietungsobjekte führen zu zwei regelmäßigen Arbeitsstätten

Als Vermieter haben Sie die Möglichkeit, Ihre Grundstücke selbst zu verwalten und zu bewirtschaften oder eine Gesellschaft hiermit zu beauftragen. Im ersten Fall ist es ...

Mehr erfahren
10Aug.2015

Auswärtstätigkeit: Postzusteller haben keine regelmäßige Arbeitsstätte

Für Angestellte mit ständig wechselnden Einsatzorten ist das dauernde Hin und Her nicht nur anstrengend, sondern oft auch kostenintensiv. Geht ein Arbeitnehmer einer solchen ...

Mehr erfahren
23Mai2019

Fahrtkosten: Wenn die Betriebsstätte nur einmal im Jahr aufgesucht wird

Wie ein Angestellter die Kosten seiner Fahrten zwischen Wohnung und Arbeit als Werbungskosten geltend machen kann, so kann ein Selbständiger die Kosten seiner Fahrten zwischen ...

Mehr erfahren