Fehlende Aufklärung

Eltern steht bei unterlassenem Hinweis auf mögliche Behinderung des Kindes Schadensersatz zu

Eine Ärztin schaut auf ein Tablet
13 Juli 2021

Inwieweit und in welcher Form Ärzte Schwangere über die exakten Risiken schwerer Behinderungen aufklären und dies auch dokumentieren sollten, um hinterher nicht schadensersatzpflichtig zu werden, musste letztinstanzlich das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) klären.

 

Zum Fall: Nachdem Ärzte der beklagten Klinik 2010 bei der späteren Klägerin ein Turner-Syndrom ihres Kindes feststellten, brach diese die Schwangerschaft ab. 2011 war die Klägerin erneut schwanger und ließ ihr Kind in der beklagten Klinik gesondert untersuchen. Die MRT-Untersuchung des Ungeborenen zeigte eine „Balkenagenesie“; dem Kind fehlte die Verbindung zwischen den beiden Gehirnhälften. Die meisten Kinder, die an dieser Dysfunktion leiden, kommen zwar gesund zur Welt, aber 12 % darunter zeigen schwere Behinderungen.

 

Die Mutter brachte ein schwerbehindertes Kind zur Welt, das kein Augenlicht hat, nicht richtig schlucken, laufen oder greifen kann und zudem an Epilepsie leidet. Die Pflege des Kindes ist sehr aufwändig. Die Mutter leidet seitdem an schwerwiegenden psychischen Folgen. Aufgrund der Kosten der Pflege des Kindes und wegen der erlittenen psychischen Beeinträchtigungen verlangte die Mutter Schadensersatz und Schmerzensgeld. Vor dem Landgericht wurde ihre Klage abgewiesen. Die Mutter legte Berufung ein und bekam vor dem OLG recht.

 

Die Ärzte seien nach dem Behandlungsvertrag verpflichtet, die Klägerin auf das Risiko einer schweren Behinderung hinzuweisen. Die Eltern wurden im Arztgespräch zwar auf mögliche Verzögerungen in der Entwicklung, aber nicht über das Risiko schwerer Schädigungen aufgeklärt. Das OLG kam zu dem Ergebnis, dass die Mutter bei Kenntnis des Risikos einer schweren Behinderung die Schwangerschaft abgebrochen hätte. Die Information über das Risiko einer schweren Behinderung hätte den Eltern also nicht vorenthalten werden dürfen.

 

Hinweis: Ärzte sollten vor allem die wesentlichen Risiken einer Behandlung wie auch die Risiken für eine Fehlbildung des Kindes dem Betroffenen klar und deutlich mitteilen. Um später nicht in Beweisnot zu geraten, sollte dies auch unbedingt dokumentiert werden.

 

OLG Karlsruhe, Urt. v. 19.02.2020 – 7 U 139/16

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