Im Urteilsfall musste der Bundesgerichtshof (BGH) entscheiden, ob der beklagte Radiologe eine fehlerhafte Diagnose gestellt hatte und der Patientin ein Schmerzensgeld zustand.
2010 führte der Radiologe ein Mammographie-Screening mit unauffälligem Befund durch. 2012 untersuchte eine Frauenärztin die Klägerin, ebenfalls ohne auffälligen Befund. Im April 2012 ließ sich die Patientin im Zuge einer turnusmäßigen Krebsfrüherkennung erneut vom Beklagten untersuchen. Dabei erwähnte sie, die rechte Brustwarze sei seit ca. einem Jahr leicht eingezogen (Retraktion der Mamille). Der Radiologe bewertete die Brust jedoch als normal (BIRADS 1).
Weil sich die rechte Brustwarze weiter einzog, ging die Klägerin 2014 zu einem Frauenarzt, der Brustkrebs diagnostizierte. Es folgten Operationen, bei denen Karzinome und Lymphknoten entfernt wurden. Die Klägerin erhielt auch Bestrahlungen und eine Chemotherapie.
Die Klägerin warf dem Radiologen vor, er habe seine beiden Mammographie-Screenings fehlerhaft bewertet. Er habe auch erforderliche weitere Befunderhebungen unterlassen. Bei korrektem Vorgehen wäre der Brustkrebs in einem Stadium entdeckt und behandelt worden, in dem noch keine Lymphknoten befallen gewesen wären. Einer Chemotherapie hätte es dann nicht bedurft und die Anzahl der Bestrahlungen wäre geringer gewesen.
Schließlich wurden die Beklagten gesamtschuldnerisch zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 10.000 € und zum Ersatz des materiellen Schadens in Höhe von 773,14 € zuzüglich Nebenkosten verurteilt. Die Berufung der Beklagten wies das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) zurück. Der Radiologe legte Revision zum BGH ein. Er wandte unter anderem ein, er hätte darauf vertrauen dürfen, dass die von der Klägerin angegebene Mamillenretraktion bei der 2012 bereits erfolgten Brustkrebsvorsorgeuntersuchung abgeklärt worden sei. Der BGH bestätigte allerdings die Entscheidung des OLG, das einen Befunderhebungsfehler des Arztes bejaht hatte.
Hinweis: Ist die medizinische Lage nicht eindeutig, sollte der Arzt eine weitere Diagnostik durchführen. Hier war die Ursache der eingezogenen Brustwarze unklar. Im Sinne einer Krebsfrüherkennung hätte der Arzt die unklare Situation weiter aufklären müssen. Denn eine eingezogene Brustwarze kann eine Folge einer Brustkrebserkrankung sein. Bei der Diagnostik gilt: Lieber zu viel als zu wenig. Wegen übermäßiger Diagnostik ist bisher noch kein Arzt bestraft worden, auch wenn es im Einzelfall zu abrechnungstechnischen Problemen kommen kann.
BGH, Urt. v. 26.05.2020 – VI ZR 213/19