Ob sich Ärzte der Anordnung zum Bereitschaftsdienst verweigern können, weil ihnen die vorgefundene Ausstattung als unzureichend erscheint, musste nachfolgend das Sozialgericht Marburg (SG) entscheiden.
Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) zog eine Augenärztin, die in X eine gut ausgestattete Praxis führte, zum ärztlichen Bereitschaftsdienst in der Bereitschaftsdienstzentrale in Y heran. Die angeordnete sofortige Vollziehung verweigerte die Ärztin allerdings und klagte - mit der Begründung, dass Y zu schlecht ausgestattet sei.
Das SG erörterte, dass es sich bei der Sicherstellung eines ausreichenden Not- und Bereitschaftsdienstes grundsätzlich um eine gemeinsame Aufgabe der Vertragsärzte handle. Diese könne nur erfüllt werden, wenn alle zugelassenen Ärzte unabhängig von ihrer Fachgruppenzugehörigkeit ohne Bevorzugung oder Benachteiligung einzelner Personen oder Gruppen gleichermaßen herangezogen werden würden. Es müsse demnach eine Unzumutbarkeit vorliegen, um dem Antrag der Ärztin stattgeben zu können. Jedoch sei es nicht unzumutbar, in einer anderen Stadt in schlechter ausgestatteten Praxisräumen Bereitschaftsdienst abzuleisten.
In diesem Zusammenhang stellte das SG noch einmal in aller Deutlichkeit klar, dass von dem Vertragsarzt im Bereitschaftsdienst keine optimale oder umfassende ärztliche Versorgung erwartet und verlangt werde. Er solle sich vielmehr auf qualifizierte Maßnahmen zur Überbrückung der sprechstundenfreien Zeit beschränken, die reguläre Weiterversorgung den behandelnden Ärzten überlassen und gegebenenfalls die Einweisung zur stationären Versorgung veranlassen. Diese Aufgabe ist nach der Überzeugung des Gerichts auch mit der möglicherweise minderwertigen Ausstattung in der Bereitschaftsdienstzentrale zu erfüllen.
Hinweis: Die Versorgung durch den Bereitschaftsdienst der KV ist ein Ersatzdienst und muss nicht auf eine optimale oder umfassende Versorgung gerichtet sein. Der Vertragsarzt im Bereitschaftsdienst muss also in der Bereitschaftsdienstpraxis mit dem arbeiten, was er dort vorfindet. Der Bereitschaftsdienst soll nur die Zeit überbrücken, bis der Patient am nächsten Werktag in einer Vertragsarztpraxis versorgt werden kann - schwere Fälle sind vom Bereitschaftsdienstarzt direkt an ein Krankenhaus zu verweisen, um sich seinerseits nicht haftbar zu machen.
SG Marburg, Urt. v. 20.07.2020 – S 11 KA 279/20 ER