Lebenslange Schwerstschäden

800.000 € Schmerzensgeld nach absolut vermeidbaren Behandlungsfehlern

Eine Ärztin schaut auf ein Tablet
14 Sept. 2020

Im Urteilsfall stritten die Parteien um Schmerzensgeld infolge ärztlicher Behandlungsfehler. Das Oberlandesgericht Oldenburg (OLG) entschied zugunsten des geschädigten Patienten, der aufgrund gravierender und vor allem absolut vermeidbarer Behandlungsfehler mit lebenslangen physischen und psychischen Folgen zu kämpfen haben wird.

 

Der seinerzeit fünfjährige Patient landete mit Fieber und Schüttelfrost im beklagten Krankenhaus. Erst am Morgen des Folgetages wurden die Behandler aus Anlass eines Schichtwechsels auf großflächige dunkle Flecken im Gesicht und am Körper des Jungen aufmerksam, die sie zutreffend als hämorrhagische Nekrosen in Folge einer Meningokokkensepsis einordneten. Zu diesem Zeitpunkt war der Junge allerdings bereits seit mehreren Stunden somnolent, weil der zuständige Pfleger die Hinweise der Mutter auf die Hautverfärbungen ignoriert und keinen Arzt hinzugezogen hatte. Statt die Ohnmacht des Jungen zu erkennen, wähnte der Pfleger diesen schlafend und hatte in der Folge darauf verzichtet, eine Braunüle wieder anzulegen, die sich der Junge im Schlaf gezogen hatte. Dies führte dazu, dass dem dehydrierten Jungen über Stunden keine Flüssigkeit mehr zugeführt wurde.

 

Die mehrwöchige lebensrettende Akutversorgung war für den Jungen folgenschwer. Er verlor beide Unterschenkel und ist seitdem auf den Rollstuhl angewiesen. Die Stümpfe müssen aufgrund seines Körperwachstums regelmäßig operativ revidiert werden. Große Teile der Körperoberfläche sind durch Nekrosen dauerhaft entstellt. Der Junge musste deshalb für dreieinhalb Jahre einen Ganzkörperkompressionsanzug mit Gesichtsmaske für täglich 22,5 Stunden tragen - und darin auch seine Schulbesuche absolvieren.

 

Nach Ansicht des OLG stellte das vorinstanzliche Landgericht Aurich hier zu Recht grobe Behandlungsfehler fest, was auch die Schmerzensgeldhöhe von 800.000 € rechtfertige. Das Bewusstsein um den Verlust der bisherigen Lebensqualität und die voraussichtlich lebenslange Dauer der Schädigungen waren hier die ausschlaggebenden Gesichtspunkte bei der Bemessung des Schmerzensgeldes.

 

Hinweis: Diese Entscheidung, die aufgrund der Höhe des Schmerzensgeldes Beachtung in Presse und Fachkreisen fand, ist deshalb bemerkenswert, da sie sich mit der Art der Bemessung von Schmerzensgeld und den zugrundeliegenden Parametern für die Bestimmung der Höhe des Schmerzensgeldes befasst.

 

OLG Oldenburg, Urt. v. 18.03.2020 – 5 U 196/18

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